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/ ©Fotomontage Canva
Ein Bild auf 5min.at zeigt eine Frau vor einem leeren Kühlschrank und daneben Hände, die eine leere Brieftasche halten
Die häufigen Ursachen für Armut sind Krankheit, prekäre Arbeit, Bildungsabbrüche oder Gewalterfahrungen.

Kärntner Armutsstudie: Geld reicht nicht einmal mehr für Lebensmittel

Die Krisen der vergangenen Jahre haben die Zahl der armutsgefährdeten und -betroffenen Menschen in Österreich erhöht. Das sagt die Statistik, aber wie genau schaut es in Kärnten aus?

von Eva Taumberger
6 Minuten Lesezeit(1468 Wörter)

Wie geht es den betroffenen Menschen, vor welchen Hürden stehen sie, welche Hilfsangebote nehmen sie in Anspruch, wo mangelt es an Unterstützung? Um Antworten auf diese Fragen zu erhalten, hat das Land Kärnten gemeinsam mit dem Kärntner Netzwerk gegen Armut und soziale Ausgrenzung die Kärntner Armutsstudie 2024 in Auftrag gegeben, die heute allen Netzwerkpartnerinnen und -partnern sowie Vertreterinnen und Vertretern von Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft im Rahmen der 15. Sozialen Dialog Konferenz und anschließend bei einer Pressekonferenz in Klagenfurt präsentiert wurde.

Wohlhabendes Land Österreich: Trotzdem müssen Menschen um ihre Existenz ringen

„Es ist unerträglich, dass in einem wohlhabenden Land wie Österreich Menschen um ihre Existenz ringen. Die Bekämpfung von Armut hat oberste Priorität. Nachhaltig bekämpfen kann man aber nur einen Gegner, den man genau kennt. Daher haben wir diese Studie in Auftrag gegeben, die uns nun einen tiefen Einblick in die Lebenssituation armutsbetroffener Kärntnerinnen und Kärntner sowie in den Arbeitsalltag der Mitarbeitenden in Sozialämtern und -organisationen gibt“, erklärten Landeshauptmann-Stellvertreterin Gaby Schaunig (SPÖ) und die Landesrätinnen Beate Prettner (SPÖ) und Sara Schaar (SPÖ) in der gemeinsamen Pressekonferenz mit Armutsnetzwerk-Obmann Christian Eile und Studienautorin Evelyn Dawid. Grundsätzlich attestiert die Studie dem Land Kärnten eine gute Soziallandschaft. Verbesserungspotenzial sieht sie bei der Vernetzung der Organisationen sowie dem Informationsfluss hin zu den Betroffenen.

Ein Bild auf 5min.at zeigt LR.in Beate Prettner, LHStv.in Gaby Schaunig, Evelyn Dawid (Autorin der Kärntner Armutsstudie), Christian Eile (Armutsnetzwerk), LR.in Sara Schaar.
© Büro LHStvin Schaunig
Landesrätin Beate Prettner, Landeshauptmann-Stellvertreterin Gaby Schaunig, Evelyn Dawid (Autorin der Kärntner Armutsstudie), Christian Eile (Armutsnetzwerk), Landesrätin Sara Schaar.

Häufige Ursachen für Armut: Krankheit, prekäre Arbeit, Bildungsabbrüche oder Gewalterfahrungen

Häufige Ursachen bzw. Auslöser für Armut sind Krankheit, prekäre Arbeit oder Bildungsabbrüche, aber auch Gewalterfahrungen. Und: Armut ist vielfach vererbt. Wer Armut als Kind erlebt, befreit sich daraus oft nur schwer. „Armut ist ein strukturelles und kein individuelles Versagen. Es leitet sich aus der Studie eindeutig ab, dass wir mit einer Kindergrundsicherung den Teufelskreis Armut in vielen Fällen durchbrechen könnten. Die nächste Bundesregierung muss hier aktiv werden, das Land Kärnten steht als Partner bereit“, betonte Sozialreferentin Schaunig. „Soweit wir seitens des Landes eigenständig tätig werden können, werden wir das tun und den Hebel beim Thema Wohnen ansetzen. In den kommenden zwei Jahren werden wir Mittel für die Errichtung und Sanierung von 1900 gemeinnützigen Wohnungen in Kärnten freigeben. Vor allem das Angebot an Übergangswohnungen werden wir deutlich ausbauen“, kündigte sie an und erneuerte ihre Forderung an den Bund, „endlich eine wirksame Preisbremse bei privaten Mieten einzuziehen“.

„Armut kann jeden von uns treffen“

Landesrätin Prettner wies auf die Tatsache hin, dass „leider zu viele armutsbetroffene Menschen aus falscher Scham“ Unterstützungen, die das Land und zahlreiche Organisationen bieten, nicht annehmen würden. „Oder aber sie wissen über das Hilfsangebot gar nicht Bescheid, weil sie sich nicht trauen, Informationen einzuholen und Anträge zu stellen.“ Deshalb habe sie den Soziallotsen wohin.or.at ins Leben gerufen. Interessant sei, „dass die Studie in diesem Zusammenhang auch unsere Pflegenahversorgung als positives Beispiel nennt: Sie ist in den Gemeinden verankert, also direkt bei den Menschen vor Ort, und könnte zu einem Anknüpfungspunkt für Sozialarbeit weiterentwickelt werden.“ Jedenfalls sei die Stigmatisierung von Armut zu bekämpfen, ist Prettner überzeugt: „Das kann nur in einem gemeinsamen Kraftakt passieren. In den allermeisten Fällen ist es ja kein individuelles Versagen, wenn man plötzlich vor dem Abgrund Armut steht. Es kann jeden von uns treffen: Sei es, weil man die Arbeit verliert und mit dem zu geringen Arbeitslosengeld nicht über die Runden kommt. Sei es, weil man erkrankt, ob physisch oder psychisch, und mit dem zu niedrigen Kranken- oder Reha-Geld den Boden unter den Füßen verliert. Wir wissen, dass lange Krankheit ein armutsgefährdender Faktor ist. Hier ist die Bundesregierung ganz massiv gefordert, tätig zu werden und mitzuhelfen, die Armut in unserem Land zu verringern“, appellierte Prettner.

„leave no one behind“: Allen Menschen in der Gesellschaft die gleichen Rechte und Möglichkeiten einräumen

Landesrätin Schaar betonte, dass „die Studie bestätigt, dass Kärnten ein starkes Sozialsystem hat. Um dieses zu optimieren, müssen wir Einrichtungen stärker vernetzen, vor allem in ländlichen Gebieten, und die Leistungen noch näher an die Menschen bringen. Sozialraumorientierung ist ein interessanter Ansatz, den wir in Kärnten aktuell in mehreren Bereichen, unter anderem in der Kinder- und Jugendhilfe, prüfen. Unser Ziel ist es, die Unterstützung auf allen Ebenen und für alle Generationen zu intensivieren, die Prävention in Familien zu verstärken und die Sozialberufe qualitativ aufzuwerten.“ Armutsnetzwerk-Obmann Christian Eile: „Die Ergebnisse der Kärntner Armutsstudie zeigen deutlich, wie wichtig frühe und möglichst ganzheitliche und aufeinander abgestimmte Hilfsangebote für Armutsbetroffene sind. Nachdem die Ursachen von Armut und Ausgrenzung bis in die Kindheit und Jugend zurückreichen, braucht es umfassende Unterstützung im Sinne präventiver Angebote. Der Auftrag in der Armutsbekämpfung ist deutlich: „leave no one behind“ bedeutet, allen Menschen in der Gesellschaft die gleichen Rechte und Möglichkeiten mit dem Ziel bestmöglicher Entfaltung einzuräumen.“

Ein Teufelskreis: „Man verliert irgendwann sein Selbstwertgefühl“

Studienautorin Evelyn Dawid ist Sozialwissenschaftlerin und Historikerin mit Schwerpunkt Armut und soziale Ausgrenzung. Sie wünscht sich, dass alle, die in Kärnten schon bisher professionell gegen Armut gekämpft haben, die Studie am Bildschirm oder am Schreibtisch liegen haben, um mit den Ergebnissen weiterzuarbeiten. Und sie verspricht: „Das ist wirklich spannend zu lesen, nicht nur für Fachleute, sondern einfach für jeden und jede. Da sind Lebensgeschichten von Menschen drinnen, denen in ihren ersten 20 Lebensjahren so viel zugestoßen ist, wie anderen nicht in einem ganzen langen Leben.“ Zu Wort kommen in der Studie beispielsweise Udo und Stephanie. Am Anfang stehen bei Udo Jobverlust und längere Arbeitslosigkeit, es folgen AMS-Maßnahmen und ein nur kurzfristiger Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt. Mit dem neuerlichen Jobverlust ist der Teufelskreis in Gang gesetzt und bleibt oft für Jahre oder gar Jahrzehnte in Bewegung. Mit der Zeit fallen die Kurzzeitjobs weg. Verzagen und Selbstzweifel werden übermächtig, wie der 47-jährige beschreibt: „Man verliert irgendwann sein Selbstwertgefühl, man verliert sein Vertrauen in die Wirtschaft oder in die Regierung, weil irgendwo läuft ja was falsch, weil es war ja nie so, dass ich gesagt habe: Ich will jetzt arbeitslos sein und Arbeitslosengeld kassieren.“ Und mit der Zeit stellt sich das Gefühl ein, auf der Stelle zu treten, sagt die 45-jährige Stephanie: „Dann siehst du immer, was die anderen machen, und ich selber denk mir: Ich bin da irgendwie fast stehengeblieben.“

Kärntner Netzwerk gegen Armut: Wissens- und Sozialplattform

Das Kärntner Netzwerk gegen Armut und soziale Ausgrenzung ist eine Wissens- und Sozialplattform für Sozialorganisationen, Vereine und sozialpolitisch interessierte Personen in Kärnten. Es bündelt die weite Erfahrung und Expertise seiner Mitgliedsorganisationen und steht in einem kontinuierlichen Austausch mit den politischen Entscheidungsträgerinnen und –trägern und der öffentlichen Verwaltung in Kärnten. Ziel ist es, Strukturen, Praktiken und Gesetze, die Armutsgefährdung oder soziale Ungleichheit fördern bzw. festigen zu identifizieren sowie konstruktive Lösungsvorschläge und Sensibilisierungsmaßnahmen zu erarbeitet, etwa bei Vernetzungstreffen, Sozialen Dialog Konferenzen und Aktionen. Mitglieder (in alphabetischer Reihenfolge) sind: 4everyoung, AutArK, AVS- Arbeitsvereinigung der Sozialhilfe Kärntens, Caritas Kärnten, Diakonie de La Tour, Die Kärntner Volkshochschulen, EqualiZ, Fachhochschule (FH) Kärnten, Frauenhaus Villach, Hilfswerk Kärnten, Kammer für Arbeiter und Angestellte Kärnten, Kärntner in Not, Katholische Aktion der Diözese Gurk, Katholische ArbeitnehmerInnen-Bewegung Kärnten, Neue Arbeit Gemeinnützige Beschäftigungsmodell GmbH, Neustart Kärnten, Österreichisches Rotes Kreuz LV Kärnten, PIVA – Projektgruppe Integration von Ausländerinnen und Ausländern, pro mente kärnten, SozialMarkt Kärnten, Volkshilfe Kärnten.

FPÖ will „Kelag-Geld-zurück-Bonus“ mit 500 Euro

Kärntner FPÖ-Chef Klubobmann Erwin Angerer betont: „Es ist als Landesregierung definitiv zu wenig, wenn man nur Studien präsentiert und auf den Bund verweist. Seitens der Freiheitlichen haben wir bereits mehrfach Maßnahmen vorgeschlagen und die Landesregierung zur Umsetzung aufgefordert! SPÖ und ÖVP hätten schon längst für einen fairen und günstigen Strompreis in Kärnten sorgen müssen. Gerade die massiv gestiegenen Energiepreise haben die Lage von Bürgern in Armut weiter verschärft – aber SPÖ und ÖVP haben die KELAG-Strompreisabzocke unterstützt, anstatt sie zu stoppen“, kritisiert Angerer. Als weitere Maßnahme fordert die FPÖ einen „Kelag-Geld-zurück-Bonus“ in Höhe von 500 Euro für alle armutsgefährdeten Bürger aus den KELAG-Gewinnausschüttungen an das Land. „Das Geld, das die KELAG von ihrem unfassbaren Rekordgewinn 2023 an die Eigentümer, darunter 60 Mio. Euro an das Land Kärnten, verteilt, wurde den Kärntnern aus der Tasche gezogen. Wir können damit sofort Menschen in Armut unterstützen, aber SPÖ und ÖVP lehnen das ab! Das ist eine Verhöhnung der Bürger“, so Angerer.

Hinweis: Dieser Beitrag wurde am 04.07.2024 um 11:52 Uhr aktualisiert
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