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/ ©Kunsthaus Graz/J.J. Kucek
Bild auf 5min.at zeigt die neue Ausstellung
Azra wirft in ihrer neuen Installation einen Blick auf das Leben in der globalen Gemeinschaft.

Mode als kritische Reflexion: Azra Akšamijas Werke im Grazer Kunsthaus

"Sanctuary", eine Ausstellung der Architekturhistorikerin Azra Akšamija, soll momentan im Grazer Kunsthaus die unterschiedlichen Aspekte des Begriffs "sicherer Hafen" erforschen.

von Leonie Höllwarth
4 Minuten Lesezeit(898 Wörter)

Was ist dem Menschen heilig? Was ist sein Recht, was seine Pflicht? Und was bedeutet Zugehörigkeit in einer Welt, die von Kulturtransfer, Ungleichheiten und Migration geprägt ist? Mit Sanctuary – der ersten großen Einzelausstellung in Österreich der in Sarajevo geborenen und in Graz aufgewachsenen Künstlerin und Architekturhistorikerin Azra Akšamija – werden im Kunsthaus Graz die unterschiedlichen Aspekte des Begriffs „sicherer Hafen“ erforscht. Das Thema Schutz wird in raumgreifenden Installationen erfahrbar, in denen sie den Blick auf das Leben in der globalen Gemeinschaft als Wechselbeziehung zwischen den Menschen und ihrer kulturellen Prägung, zwischen dem Drang nach Ökonomisierung und dem Schutz der Umwelt richtet.

„Schutzräume“ richten den Blick auf soziale und ökologische Nachteile

Azra Akšamija eröffnet im Kunsthaus Graz Schutzräume unterschiedlichster Art und auf verschiedenen Ebenen. Auf einer Spurensuche nach Bedingungen und Möglichkeiten von Zusammenkunft und Verständigung rekontextualisiert sie Zeichen und Orte menschlichen Zusammenlebens zu ortsspezifischen Installationen. 3-D-Brillen, die aus unterschiedlichen kulturellen Kontexten stammen könnten, sind in Form von Fensterrosen arrangiert und filtern das Tageslicht in der Needle und als Vorboten in den Kuppelraum. Den Space durchzieht Akšamija, die sich intensiv mit der Forschung zur Umnutzung und Individualisierung des Bestehenden auseinandersetzt, mit Textilspannungen aus zerschnittenen, weggeworfenen T-Shirts. Ein individualisiertes UNHCR-Schutzzelt für Geflüchtete bietet in der Mitte einen Ort zum Nachdenken, Zuhören und Sich-selbst-Finden, während am großen Arbeitstisch der Sanctuary das gemeinsame Be- und Verarbeiten von recycelten Textilien zu neuen Mustern die Ausstellungsbesucher ins Tun und ins Gespräch bringt.

Die Bedeutung von „Sanctuary“

„Das Wort „Sanctuary“ hat vielschichtige Bedeutungen. Es kann ein heiliger Raum sein, es kann ein Schutzraum sein, es gibt Sanctuary Cities – Schutzstädte für Migranten in Amerika. Warum ist es wichtig, über dieses Thema zu sprechen? Die Ausstellung im Gesamten bearbeitet drei Krisen immer unter dem Aspekt des Zusammenlebens: die planetare Klimakrise, die Krise der Demokratie und des Nationalstaats und die Krise des Individuums, das mit knapper werdenden Ressourcen und in einer instabilen Welt überleben soll“, beschreibt die Künstlerin die Hintergründe ihrer Ausstellung.

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„Schutzräume“ richten den Blick auf soziale, ethische und ökologische Nachhaltigkeit sowie auf Fragen unseres Zusammenlebens

Mode als Wissensspeicher

Akšamija entwirft mit digitalen KI-Tools kulturübergreifende Wearables für Gegenwart und Zukunft, schafft Mode, die lustvoll appropriiert und zugleich Aneignung als Instrument der (kritischen) Reflexion der eigenen Position thematisiert. Die Arbeiten, die von textilen über digitale Werke bis hin zu gezeichneten Anleitungen zum Selbst-Bau eines individuellen Schutzraumes reichen, befassen sich auch mit der Repräsentation islamischer Identitäten im Westen und mit kultureller Bildung durch Kunst und Architektur. Nachhaltigkeit ist hier sowohl ethisch, sozial als auch ökologisch gemeint.

Kritische Reflexion und Nachhaltigkeit

Die Künstlerin stellt kritische Fragen an eine überbordende Konsumwirtschaft und richtet den Blick ausdrücklich auch auf Kleidung und Mode. Weit über den Globus verstrickte Interessenskonflikte werden etwa in der Herstellung und Entsorgung von Textilien sichtbar. Mode als kulturelle Ausdrucksform und Wissensspeicher zeigt sich auch als Ort der Manifestation von Zugehörigkeit und Schutz(hülle). Die gelernte Architektin gibt den Besucher*innen Werkzeuge in die Hand, mit denen diese durch ein unvoreingenommenes Umwidmen und produktives Aneignen – mitunter nicht ohne Selbstironie – aktiv werden können. „Meine Kunst hinterfragt, wie aus Entfremdung Empowerment werden kann“, beschreibt Akšamija im Jahr 2018 ihre eigene künstlerische Arbeit.

Begriffe werden definiert

In Anlehnung an die Öffnung verschiedener Schutzräume widmet sich Sanctuary unter der Kuppel auch dem sakralen Raum, Bildungsraum und dem Museum selbst. Neben einem Ort der gemeinschaftlichen Partizipation thematisieren die einzelnen Arbeiten Begriffe wie Autorenschaft, Identitätspolitik, Authentizität und Aura. In einer konsequent interdisziplinären Herangehensweise untersucht die Ausstellung die Möglichkeiten von Kunst und Architektur, den Prozess der transformativen Vermittlung in kulturellen oder politischen Konflikten zu erleichtern. Sie schafft so einen Rahmen für die Erforschung, Analyse und Intervention in zunehmend krisenbehafteten soziopolitischen Realitäten.

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Das Zelt besteht aus Materialien bzw. Textilien, die Geflüchteten in Flüchtlingscamps zur Verfügung stehen: Secondhand-Kleidung, Woll- und Schockdecken. Das Dach besteht aus einem Militärnetz

EIn Plädoyer für globale Solidarität und Vielstimmigkeit

Das Kunsthaus Graz widmet ihr eine Einzelausstellung, die sich rund um das Thema Schutz mit Fragen der Abgrenzung vom Eigenen zum Allgemeinen und Bedingungen des Zusammenkommens befasst. Sanctuary plädiert für eine Form globaler Solidarität, die weit über die Forderung nach Nachhaltigkeit im Umgang mit gemeinsamen Ressourcen hinausgeht und für Respekt und grundsätzliche identitätspolitische Vielstimmigkeit einsteht. Die Ausstellung entsteht in Zusammenarbeit mit lokalen Initiativen (Caritas Steiermark und weiteren) und lädt anhand einer permanenten Intervention und mit verschiedenen Workshops über den Sommer zur aktiven Beteiligung ein. Ein Katalog, mit Essays und Forschungsmaterialien zu den ausgestellten Projekten, sowie ein digitales Begleitheft, das durch QR-Codes neben den Werken abrufbar ist, umrahmen die Ausstellung.

Sozialkritische und Partizipative Arbeiten

Azra Akšamija, für ihre sozialkritischen und partizipativen Arbeiten im Umgang mit Konstruktionen von Identität weithin bekannt, ist Professorin und Direktorin des Art, Culture and Technology Programme am MIT – Massachusetts Institute of Technology. Ihre Werke wurden unter anderem bei der Biennale von Venedig und Sharjah Museums gezeigt. Mit ihrer Familie vor dem Jugoslawien-Krieg geflüchtet, wuchs die Künstlerin in Graz auf und zeigte ihre Arbeiten auch vor Ort in Institutionen wie < rotor > oder Forum Stadtpark. Ihre engagiert-sozialkritischen und partizipativen Arbeiten führten sie mit ortsspezifischen Werken in Museen ebenso wie in Moscheen, Kirchen und Flüchtlingslager. 2018 und 2019 stellte sie im Kunsthaus Graz in der Ausstellung Glaube Liebe Hoffnung und 2019 in der Schau KUNST ⇆ HANDWERK aus. Daraufhin erhielt die Künstlerin 2019 den Kunstpreis der Stadt Graz.

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